
Von einem Leser meines Blog bin ich schon gefragt worden, ob ich überhaupt auch mal arbeite. Natürlich habe ich Stress ohne Ende, zwei Telefone klingeln den ganzen Tag, die Firmen stürmen unser Büro, die Rechnungen und Nachträge stapeln sich und ich habe nur ab und zu Zeit den Blick aus meinem Baucontainer zum Schloßturm zu richten, auf die Terrasse des "Multikulti" zu schauen, die vorbeiziehenden Schulklassen, Anwälte und Richter des Bundesverfassungsgerichtes sowie deren Bewacher zu registrieren. Dass die Bäume inzwischen grün sind habe ich grad so mitbekommen. Meistens höre ich nur den Verkehr rauschen der auf Höhe unserer Container in den Tunnel eintaucht.

Auf jeden Fall ist die Aussicht von meinem Schreibtisch eine der Verbesserungen im Vergleich mit meinem alten Arbeitsplatz. Die letzten Monate saß ich in Darmstadt an einem Fensterplatz im Erdgeschoss. Ich konnte 3 Meter weit bis auf die Wand des Hinterhaus schauen. Der Zugang für alle Bewohner des Vorderhauses und die Mitarbeiter der Büros im Hinterhaus ging quasi an meinem Schreibtisch vorbei. Sie konnten dann meist auf meinen konzentrierten Blick in den Computer sehen, manchmal habe ich noch deren Grinsen mitbekommen. So nach und und nach habe ich die Leute kennen gelernt. Manchmal sah ich noch die langen grauen Haare des Puppenspieler vom Kikeriki-Theater vorbeiflattern. In regelmäßigen Abständen kam seine Frau mit so einem kleinen Schoßhündchen vorbei und jetzt kommt die Frau nicht mehr vorbei. Dafür kommt der Puppenspieler mit seinen neuen Puppe, äh Frau und deren zwei kleinen Kindern.
Lange brauchte ich um festzustellen, dass die aufgedonnerte Frau, die früh aus dem Haus ging und nachmittags wieder zurück kam und der lässige blonde langhaarige Mann der so gegen 7 wieder aus dem Haus ging, ein und dieselbe Person waren. Er bzw. sie wohnt in der Einraumwohnung die meine ehem. Chefs vermieten. An einem Morgen als ich um die Ecke ging, kam er grad aus der Tür im chicen Nadelstreifenkostüm und mit hockhackigen spitzen Pumps, stark geschminkt und hat mir die Tür aufgehalten und gewartet bis ich durchging. Eine Operation und das Aufgeben männlicher Anstandsregeln hatte er damals noch vor. Ich hoffte, er würde sich das alles nochmal gut überlegen. Habe aber gehört, dass er inzwischen seine Haare rot gefärbt hat.